Heinz Sigmund am 13. September 2015

 

Schon eine Planzeichnung aus der Entstehungszeit der Stadt Karlsruhe (s. Abb. 1) lässt eine kompassförmige Anlage der 32 Straßen erkennen, die radial von einem zentralen Punkt ausgehen. Dieser Entwurf entspricht der Zeichnung einer klassischen Kompassrose, wie sie auf Segelschiffen zur Navigation verwendet wurde.

 Kompassrose

Abb. 2: Kompassrose

Abb. 2 zeigt, wie man dabei vorging:
Die 4 Haupthimmelsrichtungen Nord, Süd, Ost und West wurden noch jeweils dreimal halbiert, was Winkelabstände zwischen den Straßen von 11,25° ergibt (Vollkreis von 360° geteilt durch 32).
Dieser Grundriss einer barocken Planstadt, ausgehend von einer Schlossanlage, hat sich im wesentlichen bis heute, d.h. 300 Jahre später erhalten (s. Abb. 3).

Abb. 3 Stadplan Karlsruhe als Sonnenuhr

Allerdings fällt auf, dass die Mittelachse, d.i. die heutige Karl-Friedrich-Straße, etwas von der genauen Südrichtung abweicht (ca. 3,5°).  Wir sehen auf dem modernen Stadtplan auch, dass viele der radial verlaufenden Straßen ihren Ausgang nur noch von dem Straßenkreis, der um den nahezu freistehenden Schlossturm gelegt wurde, nehmen.  Auf der Südseite schneiden diese die heute als Kaiserstraße bezeichnete Querachse, die vom Durlacher Tor aus bis zum Mühlburger Tor verläuft und fast wie eine Kreistangente erscheint.  Zur Erläuterung der Sonnenkompassfunktion habe ich die für den scheinbaren Sonnenlauf in Frage kommenden Radialstraßen blau markiert und, von der Mittelachse ausgehend, mit Ziffern von 1-11 nach Osten/Westen versehen.  Die beigefügten Winkelangaben geben den Winkelabstand von der Nord-Süd-Achse (=gelbe Linie) an.  (s.a. Abb. 3)
Scheint nun die Sonne genau entlang einer der genannten Straßen, die ja auf den Schlossturm zulaufen, lässt sich unmittelbar ihr Winkelabstand von Süden ablesen, was dem sogenannten Azimutwinkel der Sonne entspricht.  Die gleiche Funktion erfüllt der weitgehend freistehende Schlossturm, wenn wir seinen Schattenwurf nach Norden in Richtung des Schlossgartens beobachten  (s. Abb. 6).  Man könnte auf dem halbkreisförmigen Weg einfache Winkelangaben anbringen, um den Sonnenazimut an der Schattenwanderung zu erkennen.
Da der Sonnenazimut auch einen zeitlichen Bezug hat, liegt es nahe, die Radialstraßen auf einer Azimutal-Sonnenuhr einzuzeichnen  (s. Abb. 4).  Das als Doppelsonnenuhr angelegte Zifferblatt zeigt in seinem unteren Teil, zu welcher Uhrzeit (jahreszeitenabhängig) die Sonnenstrahlen in Richtung Schlossturm fallen.


 Horizontal-Sonnenuhr für Karlsruhe

Abb. 5a: Horizontal-Sonnenuhr für Karlsruhe

 Horizontal-Sonnenuhr für Karlsruhe

Zwei Ablesebeispiele sollen dies veranschaulichen: 

1. Die Stephanienstraße (Nr.6 West) verläuft gegen 15 Uhr zur Sommersonnenwende in Sonnenrichtung; die untergehende Sonne erscheint dort um 17 Uhr zu Beginn des Tierkreiszeichens Fische bzw. Skorpion (d.h. um den 20. Februar bzw. den 24. Oktober.)
2.  Für die Waldhornstraße (Nr. 4 Ost) sind die Zeiten:  10:30 Uhr zur Sommersonnenwende und 9:00 Uhr zur Wintersonnenwende. 

Der obere Teil der Abb. 4 enthält das Zifferblatt einer Horizontalsonnenuhr für die geographische Breite von 49° Nord (Karlsruhe) mit erdachsparallelem Schattenwerfer (in Form einer stilisierten Flagge).
Die ausgeführte Sonnenuhr in Funktion zeigt Abb. 5a  Wir können hier am roten Ziffernbogen die Uhrzeit von 9:30 Uhr  Wahrer Sonnenzeit ablesen.  Eine solche Sonnenuhr muss zur genauen Anzeige zuvor in Nord-Süd-Richtung orientiert werden.  Dazu nutzen wir jetzt den „monumentalen Sonnenkompass“, wie ihn  der geometrische Entwurf der barocken Planstadt Karlsruhe vorgibt.  Verschiedene Möglichkeiten sind dabei denkbar:

1. Wir stehen auf dem Schlossturm und drehen unsere mobile Sonnenuhr (auf einer horizontalen Fläche) auf die Ausrichtung der Karl-Friedrich-Straße.
2. Wir begeben uns in eine der Radialstraßen (1-10) und richten unsere Sonnenuhr entlang der schwarzen Straßenlinie (unterer Teil der Sonnenuhr) mit Blickrichtung zum Schlossturm aus.

Das bekannte Problem, für eine an eine Hauswand anzubringende Vertikal-Sonnenuhr zuvor die Südabweichung zu ermitteln, lässt sich hier unmittelbar lösen, indem man die Azimutrichtung der in Frage kommenden Straße berücksichtigt.  (s. Abb. 4)
Eine weitere Möglichkeit für die Verwendung unserer Sonnenuhr besteht darin, ins Zentrum der Zeichnung (Schlossturm/Zenit) einen langen vertikalen Zeiger einzusetzen und sodann das Zifferblatt umzukehren, d.h. Nord und Süd zu vertauschen.  Damit erhalten wir einen Schattenwurf, der dem Turmschatten (s. Abb. 6) entspricht und somit  zusätzlich Angaben zur Uhrzeit liefert.(Abb.5b)

Um beide Zifferblätter gleichzeitig verwenden zu können, gibt es die Möglichkeit,  den vertikalen Zeiger auf ein im Zenitpunkt drehbar befestigtes transparentes Lineal aufzustecken.(s.Abb.5a/ untere Hälfte) Nun lässt sich der Schattenwurf, bei
richtig orientierter Sonnenuhr, durch entsprechende Drehung auf die Mittellinie
des Zentrallineals lenken, und  damit auf den „Schlossturm“ ausrichten. In unserem Beispiel fällt er auf die Radialstraße Nr.5 (Ost), die Englerstraße.
Somit schließt sich also der Kreis, und wir haben mit unserer handlichen und transportablen Doppelsonnenuhr ein Modell des monumentalen Sonnen-Kompasses in Händen, wie ihn die Stadt Karlsruhe nach den obigen Ausführungen darstellt.

(Hinweis: Bei den durch die Sonnenuhr angegebenen Uhrzeiten handelt es sich durchweg um Wahre Karlsruher Ortszeit.  Um die Mitteleuropäische Zeit (MEZ) zu erhalten, sind 26,4 Minuten hinzuzufügen und die Werte der sog. Zeitgleichung zu berücksichtigen. Während der Sommerzeitphase ist außerdem noch eine Stunde zu addieren.)

 Schloss Karlsruhe von oben mit Turm

Abb. 6: Schloss Karlsruhe von oben mit Turm

Kommentare

Lieber Herr Sigmund,
beim Lesen ihres interessanten Beitrags kam mir die Idee, die Karlsruher Anrainer und ihre Besucher selbst vom außerordentlichen Straßennetz profitieren zu lassen. Man stelle in jeder dieser Radial-Straße ein Schild mit etwa folgendem Text und einer Tabelle auf: “Aus nebenstehender Tabelle ist die Uhrzeit desjenigen Momentes ablesbar, in dem die Richtungen der Sonne und dieser Straße übereinstimmen (Streiflicht auf den Hauswänden und auf diesem Schild)” Ob man es bei der wahren Ortszeit belässt, oder die WMEZ (+ WMESZ) angibt oder sogar die Zeitgleichung einbezieht, wäre noch zu entscheiden . Schlagen Sie doch einmal der Stadt K. diese Idee vor.
mfG S.Wetzel

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