Renate Frank am 23. May 2017

Die Sonnenuhren von Saint Sigismond in Aime

Die Sonnenuhren von Saint Sigismond in Aime. Foto: Michael Jäger

Sonnenuhren bilden den Lauf des Schattens ab. Daher bieten sich die Zifferblattflächen für Sinnsprüche an, die an den Lauf der Zeit, an den kurzen Lauf des Lebens erinnern, und die ermahnen, diese Zeit zu nutzen. Michael Jäger fand bei einer Wanderung in den Französischen Hochalpen in der kleinen Gemeinde Aime (Aime-la-Plagne, Savoie) Sonnenuhren mit einem ungewöhnlichen Text.

Die dortige Kirche Saint Sigismond  wurde 1678 geweiht und besitzt eine reiche barocke Innenausstattung. Gewidmet ist sie Saint Sigismond (um 474 – 524), dem König der Burgunder, der im deutschen Sprachraum Heiliger Sigismund genannt wird. Seine Reliquien werden auch im Kloster St. Maurice/Wallis und in Freising verehrt. Ursprünglich auf dem Hügel St. Sigismond gebaut, war das Gotteshaus – wie üblich – geostet. Es wurde im 13./14. Jahrhundert an den heutigen Platz versetzt, seither liegt die Apsis im Norden und der Eingang im Süden. Das Bauwerk wurde in die Liste der Monuments Historiques aufgenommen und damit zum schützenswerten Denkmal. In diesem Artikel interessieren jedoch nur die drei vertikalen Sonnenuhren an den Außenwänden (45°33’N6°39’O). Zwei davon finden sich an der Südwand links und rechts der Eingangstür. Ihr Entstehungsdatum ist mit 1816 angegeben, 1971 wurden sie restauriert. Die Zifferblätter sind von einem spätbarocken Rahmen eingefasst und jeweils mit Blumengirlande und Blumenvase als oberem Abschluss geschmückt. Die Stundenlinien sind als Pfeile gezeichnet, dazwischen wurden Punkte für die halben Stunden gesetzt. Von 6 Uhr am Morgen bis 6 Uhr am Abend ist die Zeit abzulesen, zusätzlich ist auf der rechten Uhr eine Datumslinie für die Tag- und Nachtgleichen eingetragen. Die Schattenwerfer sitzen im Mittelpunkt einer gemalten Sonne. Auf dem rechten Zifferblatt ist in dieser Sonne ein bärtiges Gesicht dargestellt: ist es der Mond, oder ist es eine „ame infidèle“? Ungewöhnlich ist der Text, in jeweils zwei Zeilen auf beide Uhren verteilt:

„A TOUTE HEURE, AUX MECHANTS, DIEU PRODIGUE SES DONS.
SON SOLEIL LUIT SUR LUI, AINSI QUE SUR LES BONS,
VERSE SES FAVEURS SUR UNE AME INFIDELLE
QUE L’ABUS DE SES DONS RENDRA PLUS CRIMINEL“

„Gott verteilt zu jeder Stunde seine Gaben an die Bösen.
Seine Sonne leuchtet auf sie ebenso wie auf die Guten,
er schenkt seine Gunst (auch) einer ungläubigen Seele,
die der Missbrauch seiner Gaben noch frevelhafter werden lässt.“

In der Bergpredigt (Matth. 5,45) heißt es: „Der Vater im Himmel lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute ....“ Der Sinnspruch auf den Sonnenuhren von Aime geht einen Schritt weiter als der Bibeltext: er enthält nicht nur eine Aussage über die Sonne, die ohne Unterschied auf alle scheint, sondern auch die Ermahnung, Gottes Gaben nicht zu missbrauchen.

Der Gedanke, dass alle Menschen in gleichem Maße bedacht werden, ist noch einmal in einer Sonnenuhr an der Ostwand der Kirche aufgegriffen. Dort ist ein quadratisches Zifferblatt ist auf den Putz gemalt. Sechs Pfeile als Stundenlinien markieren die Zeit zwischen 5 Uhr und 10 Uhr am Vormittag, zwei Seiten des Quadrats sind eingerahmt von dem Satz:

SOL LUCET OMNIBUS

„Die Sonne leuchtet allen“

                                                       

 Michael Jäger

Sonnenuhr links (Saint Sigismond in Aime). Foto: Michael Jäger

 Michael Jäger

Sonnenuhr rechts (Saint Sigismond in Aime). Foto: Michael Jäger

Sonnenuhr Ostwand (Saint Sigismond in Aime). Quelle: Justacote/cjp95.

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